Städtische Gesundheit in Kathmandu
Kathmandu ist eines der schnellstwachsenden urbanen Zentren der Welt – der jährliche Bevölkerungszuwachs beträgt um 4%, 1950 hatte die Stadt eine Bevölkerung von etwas mehr als 100.000 Menschen, heute sind es etwa 2 Millionen, wobei das Wachstum sich vor allem in den letzten 15–20 Jahren beschleunigte. Der Großraum Kathmandu Valley hat mittlerweile geschätzte 3 Millionen EinwohnerInnen.
Das Wachstum findet weitgehend ungeregelt statt, erst in den letzten Jahren gibt es Bemühungen um ein planmäßigeres Wachstum und z. B. Großprojekte wie das Melamchi-Wasserprojekt, mit dem die chronische Wasserknappheit und das Problem der Wasserqualität behoben werden sollen. Die Stadt leidet unter Verkehrsproblemen und Luftverschmutzung, öffentliche Verkehrsangebote sind unzureichend und beschränken sich auf Minibusse und Busse; ergänzt werden sie durch zahlreiche private Anbieter.
Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist – wie allgemein in Nepal – theoretisch durch Regierungseinrichtungen gesichert, in der Praxis sind diese Einrichtungen jedoch meist unregelmäßig besetzt, schlecht ausgestattet und erhalten zu wenige Medikamente und Verbrauchsmaterial. Zudem sollte eine Urban Health Clinic theoretisch die Primärversorgung einer Bevölkerung von mehr als 60.000 Menschen gewährleisten (in Kathmandu bestehen 33 solche Kliniken für eine Bevölkerung von ca. 2 Millionen), d. h. die Versorgung ist unzureichend, selbst wenn alle Kliniken voll funktionsfähig wären; wer es sich leisten kann, greift daher auf private Anbieter (Apotheken, Krankenhäuser) zurück. Dadurch bleiben die Ärmsten auf der Strecke, da politisch oder gesellschaftlich einflussreiche Kreise kein echtes Interesse daran haben, die staatliche primäre Gesundheitsversorgung zu verbessern. Eindrücklich belegen dies die Zahlen: Kinder aus dem ärmsten Quintil der städtischen Bevölkerung haben ein 4,5mal höheres Risiko, vor ihrem 5. Geburtstag zu sterben, als Kinder aus dem reichsten Quintil; ebenso haben nur 45% der Frauen aus dem ärmsten Quintil Zugang zu qualifizierter Geburtshilfe (im Vergleich mit 85% der Frauen aus dem wohlhabendsten Quintil). Krankheit stellt zudem in ärmeren Bevölkerungsschichten ein Armutsrisiko dar, selbst im Fall von „einfachen“ Erkrankungen wie Grippe oder Fieber.
Urbane Armut in Kathmandu
Kathmandu erlebt seit den Jahren des Bürgerkriegs von 1996 bis 2005 einen vermehrten Zuzug von Menschen aus ländlichen Gebieten (IDPs – intern Vertriebene oder Migrant:innen, die wegen der zunehmenden Unsicherheit der politischen Situation oder des Wegfalls von Einkommensquellen in die Stadt kamen), die weder finanzielle noch Bildungsressourcen haben und daher v.a. in informellen Sektoren arbeiten und in informellen Siedlungen oder Slums leben, insbesondere entlang des Bagmati-Flusses und seiner Zuflüsse, die alle stark verschmutzt sind. Diese informellen Siedlungen werden von Regierungsseite nicht anerkannt und daher auch nicht mit Infrastruktur versorgt (Trinkwasser, Strom, Abwasser, Müllentsorgung, …), und sogar periodisch evakuiert und zerstört.
Urbane Armut nimmt in Kathmandu in den letzten Jahren stark zu, während gleichzeitig Mieten und Preise überdurchschnittlich steigen. Viele der urbanen Armen sind AnalphabetInnen und haben keine Ausbildung; im Jahr 2011 waren ca. 60% der Armen in Katmandu MigrantInnen aus ländlichen Gebieten Nepals . Eine Studie, die unsere Partnerorganisation PHASE Nepal kürzlich als Vorbereitung für ein Projekt zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von informellen MüllarbeiterInnen im Großraum Kathmandu durchführte, ergab eine Analphabet:innenrate von 50%; überraschenderweise stammten 48% der Respondent:innen aus Indien ; ob dieser hohe Anteil typisch für die – stark stigmatisierte – Müllentsorgung ist oder sich auch bei anderen städtischen Armen feststellen lässt, wird eine durchzuführende Baseline-Studie ergeben müssen. Die Slums und Armensiedlungen konzentrieren sich nicht an einem oder wenigen Orten, sondern bilden größere oder kleinere Zonen, deren Einwohner:innenzahl stark variieren kann – von Kleinstsiedlungen mit weniger als 10 bis zu großen Konglomeraten von mehr als 300 Haushalten.
Eine rezente Studie unter urbanen Armen in Katmandu stellt fest, dass v. a. Frauen häufig von Unterernährung betroffen sind, da sie in den Familien traditionell zuletzt essen. Auch das Tageseinkommen von ungelernten Arbeiterinnen liegt weiterhin um ca. ein Drittel unter jenem von Männern.
Durch die Prävalenz von informellen und „selbständigen“ Formen des Lebensunterhalts – Dienstleistungen, Müllsammeln und -trennen, Straßenhandel, Anstellungen als Haushaltshilfen, Betteln etc. – bringen Krankheit und Behinderung ein enormes Risiko von Verschuldung und Einkommensverlust mit sich. In manchen Haushalten sind die Kinder die einzigen im Haushalt, die Geld verdienen, besonders dann, wenn die Eltern alt sind oder chronische Gesundheitsprobleme haben. Die Gesundheitsrisiken sind unter den urbanen Armen besonders hoch: schlechte Lebens- und Hygieneverhältnisse, mangelnde Ernährungssicherheit, schlechte Wasserqualität und mangelnde sanitäre Einrichtungen (Toilette, Abwasser, Müllentsorgung, …); zudem liegen viele der Slumsiedlungen direkt neben Müllhalden und Müllsortierzentren bzw. an den stark verschmutzten Flüssen.
Auch unter den Bewohner:innen dieser informellen Siedlungen sind durchaus soziale Schichten zu unterscheiden – die Ärmsten (ca. 37%) haben keinerlei Einkommenssicherheit bzw. ein Einkommen, das ihnen weder Ernährungssicherheit bietet noch die notwendigsten Anschaffungen erlaubt; andere (ca. 26%) haben zwar ein Einkommen, das ihnen Ernährungssicherheit bietet, aber etwa nicht ausreicht, um Kleidung oder Miete zu bezahlen, oder die aufgrund ihrer unregelmäßigen Einkommenssituation immer wieder Schulden machen müssen. Es gibt dort auch eine Schicht der „weniger Armen“ (ca. 36%), die ein regelmäßiges Einkommen haben und eher einer gelernten Beschäftigung nachgehen, Geld ansparen können und sich etwa ein Motorrad, Strom, Fernsehen, einen Kühlschrank etc. leisten können, trotzdem aber in der prekären Lebenssituation der informellen Siedlung leben. Die Ärmsten konzentrieren sich im Zentrum und in Zentrumsnähe, während die verhältnismäßig bessergestellten Armen eher in der Peripherie Kathmandus anzutreffen sind.